Der Verein „care4democracy“ hatte eine Gedenkveranstaltung organisiert, die unterstützt wurde von weiteren zivilgesellschaftlichen Initiativen wie dem Bündnis gegen Rechts, den „Stolpersteinen“, dem Regenbogencafé und dem Jugendforum. Ort des Gedenkens war der Platz vor der abgerissenen alten Stadthalle. Dieser Ort, so führte Dr. Tom Schaak in seiner Einführung aus, sei in früheren Zeiten durch Nazi-Aufmärsche bereits der Ausgangspunkt für bspw. antisemitische Umtriebe gewesen. Er erinnerte an dunkle Tage im Monat Januar, die sich jähren würden und eines gemeinsam hätten: „Die Verachtung von Menschen, die bis in Extreme gesteigert wurde und auch wieder werden könne!“ Er nannte die „Wannseekonferenz“ vom 20.01.1942 und die Befreiung des KZ Auschwitz am 27.01.1945, aber auch die Veröffentlichung der Correctiv-Recherche am 10.01.2024 zum Potsdamer „Remigrations-Treffen (welches bereits am 25. November 2023 stattgefunden hatte.) Danach spielte das Bläserensemble „KrassderWind“ das jüdische Lied „Eli, Eli“, welches aus dem im Jahr 1942 geschriebenen Gedicht der jüdischen Ungarin Hannah Szenes beruhte und vom Israeli David Zehavi vertont wurde und leitete damit eindrücklich über zur nachfolgenden Rednerin, Frau Dr. Petra Haustein. Sie sprach für das Netzwerk Zeitgeschichte und vertrat zugleich die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten. Ziel des Netzwerkes sei, Forschung und Wissenschaft mit Erinnerungsorten und Gedenkstätten zu vernetzen und die Zusammenarbeit mit ehrenamtlichen Initiativen zu stärken. Besonders wichtig sei es, die Erinnerung an die unzähligen Außenlager wach zu halten und die aktuelle Kooperation mit dem Museum Falkensee auszubauen. Sie ging auf den europäischen Völkermord ein, für den „Auschwitz“ zu einem Synonym geworden sei und sagte im Hinblick auf die Notwendigkeit eines Gedenkens: „Wir sind es den Millionen Opfern schuldig, weil der nationalsozialistische Rassenwahn nicht nur darauf zielte, die Menschen zu töten. Ganze Bevölkerungsgruppen sollten aus dem Gedächtnis gelöscht werden.“ Frau Haustein machte deutlich, dass es enorm wichtig sei, sich in der heutigen Zeit den Rufen nach einem Schlussstrich entgegenzustellen. Die Zahl von 40 Prozent jungen Erwachsenen, die nach einer aktuellen Untersuchung nicht beantworten könnten, worum es sich bei dem Holocaust handeln würde, zeige vielmehr die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit dem Thema, sich noch konkreter an den jeweiligen Orten mit den damaligen Geschehnissen zu befassen. Haustein fragte, wie es nach dem Massaker der terroristischen Hamas um die Solidarität mit den lebenden Juden bestellt sei. So gebe es ihr zu denken, wenn die jüdische Autorin Ramona Ambs, die nach eigenen Aussagen Drohungen erhalte, es sei noch Zyklon B vorhanden und sie solle sich nicht sicher fühlen, Sätze mit Galgenhumor schreibe wie: „Tote Juden sind halt einfach viel unkomplizierter zu handhaben“. Die notwendige Solidarität forderte Haustein ausdrücklich ein: „Klar und deutlich gilt es, Farbe zu bekennen und jeglichem Antisemitismus die Stirn zu bieten.“
Der Vorsitzende der Stadtverordnetenversammlung Hans-Peter Pohl unterstrich die Notwendigkeit, der Opfer des Holocaust immer wieder zu gedenken und dabei zu erinnern und zu verdeutlichen, wie es den Nationalsozialisten in den 1930er Jahren gelungen sei, die Deutschen für ihre menschenverachtende Politik zu gewinnen und den Weg für ihre Gräueltaten zu ebnen. Pohl: "Wir müssen aufpassen, dass es heute rechtsextremen Politikerinnen und Politikern und deren Parteien oder Organisationen nicht gelingt, nach und nach ähnliche Strukturen wie damals zu schaffen, mit deren Hilfe sie an die Macht gelangten. Als Schlussrednerin sprach Ilona Bubeck vom Regenbogencafé, die mit einem Zitat von Esther Bejarano einleitete: “Es waren die Nazis, die Menschen in „unterschiedlich wertvolle“ Kinder, Frauen und Männer klassifizierten. […] Nach der Befreiung 1945 riefen wir Überlebenden alle ‚Nie wieder‘! Für unsere Mitgefangenen mit dem rosa Winkel galt das aber nicht: Sie wurden in den meisten Ländern, auch in Deutschland, weiterverfolgt.“ Sie betonte ausdrücklich, dass ihr nicht daran gelegen sei, eine Gleichsetzung der Opfer anzustreben. Der Holocaust an den Juden bleibe einmalig. Der Antisemitismus sei noch immer weltweit, auch in aufgeklärten demokratischen Gesellschaften erschreckenderweise vorhanden. Auch sie zeigte erneut auf, wen die Verfolgung zusätzlich betraf und nannte neben den Homosexuellen weitere Beispiele: Politische Gegner, Kommunisten, Sozialdemokraten, Oppositionelle Geistliche, Sinti und Roma sowie Kranke, die durch Euthanasie zu Tode kamen. Unter den Nationalsozialisten seien nicht alle Menschen als gleichwertig erachtet worden. Nach ihrem Verständnis bedeute „Erinnern“ immer, einen „Bezug von Damals zum Heute“ herzustellen: Sichtbar in der Ablehnung anderer Rollenbilder des Zusammenlebens durch die Neuen Rechten.
Zwischen den Reden las Silvia Schaak zwei Gedichte in Erinnerung an die bedeutende deutschsprachige jüdische Dichterin Gertrud Kolmar. Diese lebte in einer Villa in Finkenkrug von 1923 bis 1933 und kam nach Jahren des Schreckens in Auschwitz zu Tode. Beide Gedichte aus dem Zyklus „Das Wort der Stummen“, geschrieben 1933, mit den Titeln „Anno domini 1933“ und „Im Lager“ zeigten die Bedrohungslage bereits zu Beginn des Nationalsozialismus. Gertrud Kolmar kleidete das Leiden der Verfolgten und Entrechteten in eindringliche Worte!
Mit dem Lied, „Die Moorsoldaten“, welches im KZ Börgermoor im Emsland bereits 1933 entstanden war, sorgte „KrassderWind“ für einen weiteren würdigen musikalischen Beitrag. Das Ensemble wurde spontan von Harald Petzold, SVV-Abgeordner, mit seiner Bratsche begleitet. Tom Schaak verabschiedete die Anwesenden mit einem Zitat vom Auschwitzüberlebenden Primo Levi, der von einem 11. Gebot gesprochen hatte: „Es kann wieder geschehen. Du sollst nicht gleichgültig sein.“
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